Herr, bleibe bei uns (Kanon)

Der Abendkanon entstand 1935 und erschien erstmals in der zweiten Auflage von „Mein Lied“ sowie 1938 in „Bruder Singer“. Seine praktische Verwendung fand er mit großer Wahrscheinlichkeit zunächst in den von Albert Thate und seiner Ehefrau geleiteten Singwochen des Rheinischen Kirchenchorverbandes.

Dem Lied liegt ein Zitat aus der Emmausgeschichte (Lk 24,29) zugrunde: „Und sie nötigten ihn und sprachen: Bleibe bei uns; denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt. Und er ging hinein, bei ihnen zu bleiben.“ Die Bitte der Jünger um ein gemeinsames abendliches Mahl richtet sich noch an den nicht erkannten Auferstandenen. Während des Brotbrechens erkennen sie Jesus als ihren Herrn. Der Aufbau des Textes ist dreiteilig: Zunächst stehen Bekenntnis und Bitte, erst danach folgt die Begründung – in einem zweizeiligen Parallelismus, der an die Psalmen erinnert. Der Begriff „Abend“ wird dabei besonders hervorgehoben, da er in der Mitte steht und von jeweils sieben Wörtern eingerahmt ist.

Die Melodie bewegt sich in kleinen Tonschritten einer Dur-Skala und folgt – wie der Text – einem dreiteiligen Aufbau. Durch diese klare Struktur lässt sie sich auch ohne Leitung problemlos gemeinschaftlich singen.

Besonders hervorgehoben wird das Wort „Abend“: In der Mitte des Kanons steht es auf der einzigen Punktierung der Melodiekette. Diese sollte nicht weggelassen werden, da sie eine reizvolle Klangreibung (Sekunde) erzeugt und den folgenden Quartvorhalt im harmonischen Zusammenspiel vorbereitet. Die Melodie beginnt ruhig in hoher Quintlage, passend zum Bittruf „Herr, bleibe bei uns“, und senkt sich in den Zeilen 2 und 3 allmählich herab – wie das vergehende Licht am Ende eines ausklingenden Tages.

Der sehr bekannte und beliebte Kanon lässt sich aufgrund seiner Kürze und Schlichtheit problemlos auswendig singen. Gemeinsam mit dem Lied „Der Mond ist aufgegangen“ kann er auch als Quodlibet erklingen. Bei Abendandachten, Abendgottesdiensten und in der Singwochenarbeit hat er seinen festen Platz – ebenso im Kontext des Evangeliums des Ostermontags.